Erfahrungen mit dem finnischen Fernunterricht

Im Spätfrühling kehrt Finnland allmählich zum normalen Schulalltag zurück. Monatelang war jedoch der Fernunterricht an der Tagesordnung und die Kinder lernten von zu Hause aus. Der finnische Fernunterricht erhielt viel Lob, aber selbst im Musterland der Digitalisierung verlief nicht alles reibungslos. Jetzt ist es an der Zeit, darüber nachzudenken, was gut lief, welche Herausforderungen es gab und welche Lehren wir ziehen können.

Foto: Nita Karila

Wir haben finnische zwei Lehrkräfte nach ihren Erfahrungen mit dem Fernunterricht gefragt. Beide konnten der außergewöhnlichen Unterrichtsphase im Frühling viel Gutes abgewinnen.

– Dieser Fernunterricht hat mich etwas überrascht. Vor allem habe ich mich selbst damit überrascht, dass man tatsächlich damit zurechtkommen kann, auch wenn man schon alt ist und mehr mit der Hand als mit dem Computer arbeitet, so Petteri Karila aus Rovaniemi.

Petteri Karila ist Klassenlehrer an der Ounasvaara-Grundschule. Marjaana Ajanto hingegen unterrichtet Englisch für Mittelschüler an der Lauttasaari-Gesamtschule in Helsinki.

– Ich finde, dass wir sehr schöne Gemeinschaftsmomente haben. Besonders da wir in diesen Zeiten getrennt voneinander, jeder bei sich zu Hause, sind. Außerdem ist es im Unterricht wirklich ruhig. Die Schüler konzentrieren sich, wenn sie den Unterricht auf ihren eigenen Computern verfolgen. Die friedlichen Unterrichtsstunden werde ich sicher vermissen.

Heimische Ruhe und funktionierendes Internet

Finnland gilt als Musterland der Digitalisierung. So gehören Computer schon für Kinder zum Alltag und vielen gefiel der Fernunterricht.

– Ich muss ganz ehrlich sagen, dass es in meiner Klasse einige Schüler gibt, die beim Fernunterricht deutlich besser mitarbeiten als beim Präsenzunterricht. Das eigene Zimmer, die Ruhe und das selbstständige Arbeiten zu Hause helfen beim Lernen - in der Schule brauchen sie vielleicht etwas Hilfe, aber mit den Computern sind die meisten doch ziemlich vertraut, erzählt Petteri Karila.

Der Internetzugang funktioniert fast überall in Finnland und es gab bereits Erfahrungen mit der Digitalisierung. So wird in Finnland seit fast 20 Jahren die Internetplattform „Wilma“ für die Kommunikation zwischen Schule und den Familien genutzt. Dort tauscht man sich darüber aus, wie der Lernprozess verläuft oder wo es Probleme gibt. Auch Abwesenheiten werden über Wilma mitgeteilt.

Foto: Kristian Ajanto

Technologie und Ausrüstung sind vorhanden

In Finnland scheitert der Fernunterricht jedenfalls nicht an mangelnder Ausrüstung.

– Das Gute hier in Finnland ist, dass jeder ein Handy und zu 99% auch einen Computer hat. Diejenigen, die keinen Computer hatten, erhielten leihweise einen von der Schule. Es hatte also jeder die nötige technische Ausrüstung zu Hause, erzählt Petteri Karila.

– Auch wir hatten keine Probleme mit der Ausrüstung. Die Schüler gehen sehr sorgsam damit um, und wenn etwas kaputtgeht, springt die Versicherung der Schulen ein, so Marjaana Ajanto.

In der Anfangsphase des Fernunterrichts gab es einige Rückmeldungen von Schülern, dass die Lehrer zu viele Hausaufgaben aufgaben.

– Darauf wurde sofort reagiert. Der Unterricht soll in erster Linie während der Unterrichtsstunden erfolgen, nur wenn dann die Zeit dafür nicht ausreicht, werden Hausaufgaben aufgegeben, sagt Ajanto.

Digitale Lernmaterialien gab es bereits vor dem Start des Fernunterrichts. Während der Corona-Krise boten die Buchverlage den Schulen auch zusätzliche kostenlose digitale Lernmaterialien an.

– Ich arbeite mit digitalen Lehrbüchern und Unterrichtsmaterialien. Dort kann ich sehr leicht sehen, wer seine Hausaufgaben gemacht hat und wer nicht. Und dazu kann ich ganz traditionell in WILMA Vermerke eintragen. Zusätzlich haben wir auch z.B. mit Teams, Google Meet und Kahoot! gearbeitet. Das Internet bietet jede Menge verschiedener Unterrichtsmaterialien, zählt Ajanto auf.

Der Fernunterrichttag sieht so aus, dass ich an jedem Werktag mindestens ein Video-Meeting mit Schülern habe, manchmal sogar drei am Tag. Im Unterricht behandeln wir den Stoff entsprechend dem Lehrplan und verteilen die Aufgaben des Tages, erzählt Karila.

Der Fernunterricht hat natürlich auch seine eigenen Herausforderungen.

– Die Herausforderung für die Lehrer besteht darin, dass die Arbeitstage deutlich länger sind als im normalen Präsenzunterricht. Die Schüler senden ihre Antworten über den ganzen Tag und auch abends, und diese werden umgehend korrigiert. Arbeit gibt es reichlich, sagt Karila.

Freunde und sogar der Lehrer wurden vermisst

Während des Fernunterrichts vermissten die Schüler am meisten ihre Schulkameraden. Positiv wurde dagegen der Tagesrhythmus des Fernunterrichts aufgenommen.

– So braucht man morgens nicht beim ersten Hahnenkrähen aufzustehen. Vor allem gefiel den Schülern, dass sie die Hausaufgaben in ihrem eigenen Tempo erledigen können – entweder gleich oder nach und nach im Laufe des Tages. Überraschenderweise vermissten sie neben ihren Schulkameraden auch ihren Lehrer – das unmittelbare Feedback und die Hilfe, die man beim Präsenzunterricht bekommt. Man kann mich aber jederzeit anrufen oder mir eine WhatsApp-Nachricht senden, erzählt Karila.

Auch wenn mit dem Fernunterricht gute Erfahrungen gemacht wurden, wird auch in Finnland debattiert, ob dies für alle Kinder eine gute Lösung ist. Insbesondere bei den jüngsten Schülern liegt die Verantwortung für die Betreuung des Lernens häufig bei den Eltern. Wenn zum Beispiel ein Erstklässler noch nicht lesen kann, ist die Unterstützung von Mutter und Vater unverzichtbar. Bedenken gab es auch hinsichtlich der Familien, in denen es schon vorher Probleme gegeben hatte, z.B. wenn die Kinder auf die kostenlosen Schulmahlzeiten angewiesen sind oder ihr Zuhause kein sicherer Ort ist.

– Eine wirklich gute Frage ist auch, wie hoch die Qualität des Lernens ist, also wieviel man dabei wirklich lernt, so Ajanto.

In jedem Fall war der Fernunterricht sowohl für die Schüler als auch für die Lehrer lehrreich.

– Ich habe einen großen persönlichen Fortschritt in Sachen Digitalisierung gemacht, muss ich zugeben. Ich habe Dinge gelernt, die für mich zuvor ziemlich mysteriös gewesen waren - aber auch ein alter Hund lernt offensichtlich noch etwas dazu, lacht Karila.


Text und Video: Tanja Huutonen und Heini-Tuuli Onnela