Suurlähettiläs Valtteri Hirvosen puhe Suomen ulko- ja turvallisuuspolitiikasta muuttuneessa turvallisuustilanteessa
Suurlähettiläs Valtteri Hirvonen puhui 17.5.2022 Allianz Sicherheit Schweiz -yhdistyksen kokouksessa Bernissä Suomen ulko- ja turvallisuuspolitiikasta sekä Suomen roolista muuttuneessa tilanteessa.
Referat von Valtteri Hirvonen, Botschafter von Finnland, bei der Generalversammlung Allianz Sicherheit Schweiz am 17.5.2022 im Hotel National zu Bern
«Die Rolle und Politik Finnlands in der gegenwärtigen sicherheitspolitischen Lage in Europa»
Finnland verurteilt den Angriff Russlands auf die Ukraine auf das Schärfste. Das Vorgehen Russlands ist gleichzeitig ein Angriff auf die gesamteuropäische Sicherheitsordnung. Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist eine eklatante Verletzung des internationalen Rechts und der Charta der Vereinten Nationen.
Nach allen verfügbaren Informationen verschiedener Medien und Berichten von Menschenrechtsorganisationen verstößt die Art und Weise, wie Russland den Krieg in der Ukraine führt, eklatant gegen das Völkerrecht. Berichte über die Hinrichtung und Folterung von Zivilisten, sind erschreckend. Finnland und die EU verurteilen diese Taten aufs Schärfste. Die für schwerste internationale Verbrechen wie Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlichen Personen müssen für ihre Taten vor Gericht gestellt werden.
Finnland antwortet auf das Vorgehen Russlands als Teil der Europäischen Union. Die EU hat auf den russischen Überfall auf die Ukraine beispiellos schnell, entschieden und geschlossen reagiert. Auch die internationale Gemeinschaft hat den russischen Angriff auf die Ukraine weitgehend verurteilt. Finnland arbeitet eng zusammen auch mit seinen weiteren wichtigen Partnern und ist in der UN und auf anderen Foren der multilateralen Zusammenarbeit in der Frage aktiv.
Finnland unterstützt eindeutig die Unabhängigkeit, die Souveränität und die territoriale Unversehrtheit der Ukraine. Wir unterstützen die von Russland angegriffene Ukraine sowohl durch nationale Maßnahmen als auch als Teil der EU. Ein Beweis dafür sind die vor Kurzem gefassten Beschlüsse um weitere Unterstützung für die Ukraine – inklusive die Lieferung von Waffen an die Ukraine. Auch gewöhnliche Bürgerinnen und Bürger haben große Solidarität mit der Ukraine und mit Geflüchteten aus der Ukraine in Finnland gezeigt.
Die Europäische Union hat sich in den letzten Jahrzehnten in einer ständigen Krise befunden. Krisen haben die Stabilität und Einheit Europas erschüttert, es wurde sogar befürchtet, dass die gesamte Union auseinanderbricht. Die Euro- und Finanzkrise spaltete die EU in Nord und Süd, die Flüchtlingskrise in Ost und West. Großbritanniens Meinungsverschiedenheit mit der EU veränderte das Kräfteverhältnis, und die Coronavirus-Pandemie schloss seine Grenzen.
Trotz der Schwächen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik war die Reaktion der EU gegenüber Russland hart und geschlossen. Wirtschaftssanktionen haben Russland von der internationalen Wirtschaft isoliert. Die Unternehmen zogen sich schnell und entschlossen aus Russland zurück. Die Ukraine hat Waffen und Geld in Milliardenhöhe von EU-Staaten erhalten. Die Hilfe für Millionen ukrainischer Flüchtlinge ist enorm. Die EU-Friedensfazilität hat Rüstungshilfe finanziert. Die EU-Länder schneiden ihre Energieabhängigkeit von Russland auf gar revolutionäre Weise ab.
Die Bürger der Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben erkannt, dass die russische Invasion in der Ukraine zu einem Wendepunkt für die europäische Sicherheit geworden ist. Laut einem kürzlich durchgeführten Eurobarometer, das die Gefühle der Europäer misst, glauben die meisten Europäer, dass die EU seit Beginn des Krieges Solidarität gezeigt und geschlossen und schnell gehandelt hat.
Die Handlungsfähigkeit der EU inmitten des Krieges in der Ukraine wird von den Finnen überdurchschnittlich gut eingeschätzt. Es bricht mit der traditionellen Vorstellung eines unsolidarischen Finnlands, das Garantien von Griechenland fordert, sich der Unterstützung von Ländern in Wirtschaftskrisen inmitten einer Pandemie widersetzt und die Last nicht teilen will, wenn Asylsuchende nach Südeuropa kommen.
Die Reaktion der EU auf Russlands Krieg in der Ukraine zeigt, wie direkt mit der Sicherheit der EU und Solidarität auch mit der Sicherheit Finnlands verbunden ist. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat das europäische und Finnische Sicherheitsumfeld verändert, und erforderte eine Neubewertung der finnischen Sicherheitspolitik. Russlands Bestrebungen, in Europa Einflusssphären zu schaffen, sind inakzeptabel.
Finnland ist eine stabile Gesellschaft und auf verschiedene Sicherheitsbedrohungen gut vorbereitet. Derzeit besteht gegen Finnland keine unmittelbare militärische Bedrohung, aber wir verfolgen und antizipieren die Entwicklung der Lage und handeln entsprechend. Die finnische Sicherheits- und Verteidigungspolitik basiert auf einer starken nationalen Verteidigungsfähigkeit und darauf, den nationalen Handlungsspielraum zu erhalten und verschiedene Optionen offen zu halten.
Finnland ist Mitglied der Europäischen Union, und im Hinblick auf unsere Außenbeziehungen ist die Europäische Union Finnlands wichtigster Bezugsrahmen und eine Sicherheitsgemeinschaft. Die Bedeutung der Europäischen Union für Finnland wird mit einer kommenden NATO-Mitgliedschaft nicht abnehmen, sondern komplementär sein.
Auch die bereits enge nordische Zusammenarbeit wird weiter ausgebaut. Insbesondere die sicherheits- und verteidigungspolitische Zusammenarbeit zwischen Finnland und Schweden ist in den letzten Jahren noch enger geworden. Finnland und Schweden haben keine gegenseitigen Verteidigungsverpflichtungen, haben sich jedoch auf eine Zusammenarbeit in Bereichen geeinigt, die von der Unterstützung des Gastlandes bis zu kombinierten gemeinsamen Militäroperationen und von der gemeinsamen Nutzung von Ressourcen bis zur territorialen Überwachung reichen. Auch die trilaterale Zusammenarbeit mit Schweden und Norwegen hat an Bedeutung gewonnen. Eine starke nordische Verteidigungszusammenarbeit ist auch für die NATO von Vorteil. Werden Finnland und Schweden nun dem Bündnis beitreten, wird nicht nur die Präsenz der NATO im Ostseeraum gestärkt, sondern auch in der Arktis.
Finnland betrachtet die NATO als einen Akteur, der die transatlantische und europäische Sicherheit und Stabilität fördert. Finnland vollzieht seinen sicherheitspolitischen Wandel in rasantem Tempo mit einem geradezu bewegenden Konsens. Auch jene Parteien, Politiker und Diplomaten, die einer noch engeren Ausbildungskooperation bisher kritisch gegenüberstanden, akzeptieren nun die Mitgliedschaft im Verteidigungsbündnis - manche loben sie sogar in den Hintergrunddiskussionen.
Finnland hat bei der Landesverteidigung immer einen pragmatischen, praktischen Ansatz verfolgt. Als der Kalte Krieg endete, verlagerten die meisten europäischen Länder ihren Schwerpunkt auf Expeditionsoperationen, reduzierten ihre Verteidigungsausgaben und entwickelten kleinere, aber hochprofessionelle und spezialisierte Streitkräfte.
Finnland wählte einen anderen Weg – nicht zuletzt wegen seiner 1400 km Grenze zu Russland. Für Finnland war der kalte Krieg nie zu Ende. Wir behielten eine starke nationale Verteidigungshaltung bei, deren Eckpfeiler die Wehrpflicht und eine große, gut ausgebildete Reserve sind. Das relativ kosteneffiziente Wehrpflichtsystem und das Vorhandensein einer großen Reserve anstelle einer großen aktiven Truppe ermöglichten es Finnland, eine glaubwürdige Verteidigung aufrechtzuerhalten, selbst wenn der für die Verteidigung ausgegebene Anteil des BIP niedriger als wünschenswert war.
Während andere Länder nach Ende des kalten Krieges ihre militärische Ausrüstung verkauften, kaufte Finnland neue Systeme und aktualisierte bestehende Fähigkeiten. Neben den F/A-18 Hornet gehören zu den weiteren großen Einkäufen AGM-158 Joint Air-to-Surface Standoff Missiles aus den Vereinigten Staaten, Multiple Launch Rocket Systems und Leopard 2A6 Kampfpanzer aus den Niederlanden sowie K9-Panzerhaubitzen aus Südkorea und zuletzt F-35-Kampfflugzeuge aus den USA.
Die Marine hat ihre Schiffe der Hamina-Klasse vor einigen Jahren modernisiert, und die Fähigkeiten der Unterwasserkriegsführung wurden durch die Integration des Sonarsystems mit variabler Tiefe und der Torpedos verbessert. Derzeit ist Finnland dabei, mehrere ältere Schiffe durch vier moderne Mehrzweckkorvetten zu ersetzen, die das ganze Jahr über eine Reihe von Aufgaben auf See effektiv erledigen können. Neben der Verteidigung des Staatsgebiets und des Luftraums ist die Aufrechterhaltung einer leistungsfähigen Marine (in enger Zusammenarbeit mit Schweden) besonders wichtig für Finnland, dessen Handel und Versorgungssicherheit von den offenen Seelinien der Ostsee abhängen.
Finnland hat seine Sicherheitspolitik auf eine starke Landesverteidigung und internationale Zusammenarbeit aufgebaut. Die militärische Verteidigung Finnlands wird durch allgemeine Wehrpflicht arrangiert – eine Anomalie, die viele europäische Länder, einschließlich Schweden, in den Jahren nach dem Kalten Krieg abgeschafft oder deaktiviert haben. Die Wehrpflicht und die Reserve gelten als die einzigen kosteneffizienten Wege, um in einem Land mit großer Fläche, aber kleiner Bevölkerung eine glaubwürdige Landesverteidigung aufrechtzuerhalten. Dies haben wir mit der Schweiz gemeinsam – auch die Schweiz hat nach dem kalten Krieg die Wehrpflicht und das Milizsystem aufrechterhalten.
Gemäß der finnischen Verfassung ist jeder finnische Staatsbürger verpflichtet, an der Landesverteidigung teilzunehmen, aber nur Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren sind wehrpflichtig. Frauen können sich freiwillig bewerben. Abhängig von der Rolle, für die die Wehrpflichtigen ausgebildet werden, dauert ihr Dienst sechs, neun oder 12 Monate, gefolgt von Reservistenübungen in den Jahren nach dem Dienst. Das finnische Militär bildet jedes Jahr etwa 22.000 Wehrpflichtige aus, das sind etwa zwei Drittel jeder Altersgruppe. In der finnischen Öffentlichkeit gibt es eine breite Unterstützung für die Wehrpflicht, neben dem Druck, das System zu modernisieren – zum Beispiel wollen viele junge Finnen, dass die Wehrpflicht geschlechtergerechter gestaltet wird.
Die Zahl des aktiven Militärpersonals in den finnischen Streitkräften ist eher gering: etwa 19.000 plus der etwa 3.000 Mann starken paramilitärischen Grenzwache, die bei der Mobilisierung ganz oder teilweise in die Verteidigungsstreitkräfte eingegliedert werden würde. Aufgrund des Wehrpflichtsystems ist die Reserve jedoch groß. Die voll mobilisierte Feldarmee hat eine Größe von 280.000, wobei mehrere hunderttausend weitere Reservisten zur Verfügung stehen, um Verluste auszugleichen. Einheiten können grob in drei Hauptkategorien unterteilt werden: die am besten ausgebildeten und ausgerüsteten operativen Einheiten, regionale Streitkräfte und lokale Einheiten (von denen einige häufig trainieren und eine hohe Bereitschaft aufrechterhalten). Die Luftwaffe und die Marine betreiben High-Tech-Ausrüstung wie Joint Air-to-Surface Standoff Missiles, Gabriel Anti-Schiffs-Raketen und RIM-162 Sea Sparrow-Raketen und sind schneller einsatzbereit als das Heer. Dennoch sind auch die Luftwaffe und die Marine (und im Fall der Marine ein Großteil des rotierenden Personals eines Schiffes) in starkem Mass auf Wehrpflichtige und Reservisten angewiesen.
Zum Vergleich: Schweden, das doppelt so viele Einwohner hat wie Finnland, verfügt über aktives Personal von ungefähr 24.000 Soldaten und eine Reserve von 31.800. Der Nato-Verbündete Norwegen, der in Bezug auf die Einwohnerzahl genauso groß ist wie Finnland, bildet etwa 10.000 Wehrpflichtige pro Jahr aus und hat 16.000 aktives Personal. Als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine und die sich verschlechternde Sicherheitslage in Europa haben die finnischen Streitkräfte kürzlich eine Erhöhung der Zahl der zu den Proben einberufenen Reservisten von 19.300 auf 28.300 pro Jahr angekündigt.
Die Aufrechterhaltung einer starken und glaubwürdigen Landesverteidigung ist selbst in einem auf Wehrpflicht basierenden System kostspielig. Das diesjährige finnische Verteidigungsbudget wird auf 5,1 Milliarden Euro festgesetzt – 1,9 Prozent des BIP. Nur zwei Jahre zuvor betrug der Anteil der Verteidigung am BIP 1,3 Prozent. Dieser schnelle Anstieg lässt sich durch den Kauf neuer F-35-Kampfflugzeuge erklären, aber der Krieg in der Ukraine hat Forderungen nach einer weiteren Erhöhung des Budgets ausgelöst. Das Militär erhält zusätzliche Mittel in Höhe von 700 Millionen Euro im Jahr 2022 und 788 Millionen Euro im Jahr 2023, wodurch sein Budget auf 2,2 Prozent des BIP steigt. Die Bereitschaft und Fähigkeiten des finnischen Militärs wurden in allen operativen Bereichen gestärkt. Finnland hat bereits eine der stärksten Artillerien in Europa (1500 Systeme).
Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, dass die ordnungsgemäße Aufrechterhaltung starker konventioneller Streitkräfte auch im 21. Jahrhundert der Schlüsselfaktor für eine glaubwürdige Abschreckung für einen nicht nuklearen Staat bleibt. Dennoch müssen die Regierungen das Budget finden, um Bereitschaft und Fähigkeiten auch in neuen operativen Bereichen zu entwickeln, einschließlich der Cyber-, Weltraum- und Informationsbereiche. Finnland ist da keine Ausnahme. Internationale Zusammenarbeit ist besonders wichtig bei der Reaktion auf hybride Bedrohungen, Cyber-Operationen und Informationskrieg.
Eine wettbewerbsfähige Verteidigungsindustrie ist ein weiteres wichtiges Teil der Landesverteidigung. Finnlands Verteidigungsindustrie ist hochspezialisiert, weshalb das Land viel Material und Ausrüstung aus dem Ausland bezieht und sich aktiv an Beschaffungskooperationen mit anderen nordischen und europäischen Partnern beteiligt. Die finnische Verteidigungsindustrie spielt eine entscheidende Rolle bei der Versorgung und Wartung des finnischen Militärs, aber etwa 40 bis 60 Prozent ihrer Produkte werden exportiert, darunter Kommunikationssysteme, Fahrzeugsysteme, Schiffe und Schutzausrüstung. 2020 lag das Exportvolumen bei 43 Prozent. Die Verteidigungsindustrie besteht überwiegend aus kleinen und mittleren Unternehmen in Privatbesitz mit einem Gesamtumsatz in den Bereichen Verteidigung, Luft- und Raumfahrt und Sicherheit von 1,84 Milliarden Euro im Jahr 2020. Mit wenigen Ausnahmen wie Patria, Hersteller des gepanzerten modularen Fahrzeugs und NEMO Granatwerfersystems gibt es keine großen industriellen Akteure.
Ausreichende Budgets, gut ausgebildete Truppen und moderne Ausrüstung bilden neben einer international wettbewerbsfähigen Verteidigungsindustrie die Basis für eine starke Landesverteidigung. Aber wie wir in der Ukraine gesehen haben, ist die Bereitschaft, das eigene Land zu verteidigen, ebenso wichtig und sollte nicht unterschätzt werden. Davon haben die Finnen reichlich. In einer Umfrage vom Dezember 2021 gaben 84 Prozent der Befragten an, bereit zu sein, ihr Land nach besten Kräften zu verteidigen. In einer weiteren Umfrage vom März 2022 sagten 75 Prozent der Finnen, Finnland solle sich militärisch verteidigen, auch wenn der Ausgang ungewiss sei. Diese Zahlen gehören zu den höchsten in Europa, und solche Ansichten sind tief in der finnischen Gesellschaft verwurzelt.
Ebenso wichtig ist, dass eine Reihe von Faktoren in der finnischen Gesellschaft zu einem politischen Konzept umfassender Sicherheit geführt haben, einer einzigartigen finnischen Richtlinie für Sicherheits- und Bereitschaftsaktivitäten in verschiedenen Sektoren. Umfassende Sicherheit zielt darauf ab, die lebenswichtigen Funktionen der Gesellschaft durch die Zusammenarbeit von Behörden, Unternehmern, Organisationen und Bürgern zu gewährleisten. Diese integrative Perspektive auf Sicherheit fördert die Widerstandsfähigkeit angesichts verschiedener Sicherheitsbedrohungen. Neue Erfahrungen aus COVID-19 und zunehmend angespannte Beziehungen zu Russland zeigen, dass umfassende Sicherheit die finnische Gesellschaft stärkt und das Land zu einem härteren Ziel gegen feindlichen hybriden Einfluss macht.
Was Energie und die Wirtschaft betrifft, so ist Finnlands dezentrale, diversifizierte und effiziente Energieerzeugung die Grundlage unserer Energiesicherheit. Finnland ist nicht von russischer Energie abhängig, auch wenn etwa 60-65% des Wertes unserer Energieimporte aus Russland stammen. Die Importe können durch unsere eigene Produktion und durch Energieimporte aus anderen Ländern ersetzt werden. Der Anteil des russischen Erdgases am finnischen Energiesystem ist sehr gering (nur etwa 6 %). Auch Finnlands Wirtschaft ist nicht von Russland abhängig. Im Jahr 2021 entfielen auf Russland etwa 5 % der finnischen Gesamtexporte und 9 % der Importe.
Wenn man über die Rolle Finnlands in der europäischen Sicherheit diskutiert, kommt man nicht umhin, darüber nachzudenken, ob Finnland immer noch ein neutrales oder militärisch blockfreies Land ist oder beides nicht. Man kann mit Sicherheit sagen, dass Finnland seit über 30 Jahren kein neutrales Land mehr ist. Finnland und Schweden traten 1994 dem Programm „Partnerschaft für den Frieden“ der NATO und 1995 der Europäischen Union bei, wodurch sie ein für alle Mal an die westliche Gemeinschaft gebunden wurden. In der politischen Rhetorik der 1990er und frühen 2000er Jahre behielt Finnland jedoch seine Rolle als militärisch blockfreies Land bei.
Finnland ist einer der „Enhanced Opportunity“-Partner der NATO und engagiert sich seit 1995 umfassend im NATO-Planungsprozess mit dem Ziel, die Entwicklung von Streitkräften und Fähigkeiten durch Partner zu fördern, die am besten in der Lage sind, mit NATO-Verbündeten zusammenzuarbeiten.
Finnland beteiligt sich an mehreren Kooperationsforen zwischen Rahmennationen, wie zum Beispiel der britisch geführten Joint Expeditionary Force. Auch hier ist die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Partnerländern auf vielen Ebenen wertvoll. In der Praxis ermöglicht Verteidigungszusammenarbeit bessere Ausbildungsmöglichkeiten, materielle Zusammenarbeit, Informationsaustausch und Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung – alles sehr wertvolle Vorteile für ein kleines Land mit begrenzten Ressourcen.
Was die Europäische Union betrifft, so war Finnland in den letzten Jahren einer der aktivsten Mitgliedstaaten bei der Entwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und hat die Verantwortung der Union als Sicherheitsgemeinschaft betont und die anderen Mitgliedstaaten daran erinnert, dass sie sich auf Gegenseitigkeit geeinigt haben Verteidigung (Vertrag über die Europäische Union, Artikel 42.7).
Die Auffassung, dass Finnland in der Lage sein muss, sich selbst zu verteidigen, ist tief in der finnischen Gesellschaft und strategischen Kultur verwurzelt. Die Zusammenarbeit mit anderen Ländern ist äußerst wertvoll, aber letztendlich liegt die Verteidigung des Landes in den Händen der Finnen. Die Landesverteidigung kann nicht ausgelagert werden.
Finnland steht seit langem an der Schwelle der NATO, und es wird oft gesagt, dass Finnland der NATO so nahe ist, wie ein Land sein kann, ohne ein tatsächliches Mitglied zu sein. Dennoch hat Finnland es bis jetzt nicht für notwendig gehalten, den letzten Schritt zu unternehmen, um eine Allianzmitgliedschaft anzustreben. Die Geschwindigkeit, mit der sich die öffentliche Meinung gegenüber der NATO nach dem russischen Angriff auf die Ukraine geändert hat, ist beispiellos. Ebenso beeindruckend ist die Schnelligkeit, mit der die finnische Regierung auf diesen Sinneswandel reagiert hat – etwas, das auch kritisiert wurde, insbesondere von der Minderheit, die sich gegen eine finnische NATO-Mitgliedschaft ausspricht.
Die aktuelle Nato-Debatte in Finnland zeigt das Ausmaß des geopolitischen Bebens, das Russlands Aggressivität und Unberechenbarkeit ausgelöst hat: Niemand kann es mehr alleine schaffen. Dies gilt insbesondere für kleine Länder wie Finnland. Ressourcen sind knapp und der Gesundheits- und Sozialsektor wird insbesondere nach der COVID-19-Pandemie weiterhin einen Großteil des Staatshaushalts verschlingen.
Darüber hinaus ist die Demografie nicht zu Gunsten Finnlands, da die Bevölkerung altert und die Streitkräfte mit einem schrumpfenden Rekrutenpool auskommen müssen. Sich auf internationale Zusammenarbeit zu verlassen, ist kein Allheilmittel für diese Herausforderungen und Kooperation ist natürlich keine Einbahnstraße. Es erhöht die Sicherheit Finnlands, aber die Finnen sehen sich auch gerne als verlässliche Partner und Anbieter von Sicherheit und Stabilität. Einmal übernommene Verantwortungen werden sowohl in der Landesverteidigung als auch in der internationalen Zusammenarbeit ernst genommen.
Einige Kernaussagen zum NATO-Beitrittsprozess:
Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat eine grundlegende Veränderung im Sicherheitsumfeld Finnlands bewirkt. Die Entscheidung Finnlands, eine NATO-Mitgliedschaft zu beantragen, wurde aufgrund einer gründlichen Analyse des veränderten Sicherheitsumfeldes getroffen.
Als souveräner Staat trifft Finnland die Entscheidung um einen Antrag auf NATO-Mitgliedschaft selbständig. Die Entscheidung wird aufgrund eines umfassenden demokratischen Prozesses getroffen, an dem der Staatspräsident, die Regierung und das Parlament beteiligt sind. Die Entscheidung Finnlands gründet auf der starken Unterstützung der Bevölkerung – diese ist in umfassenden Erhebungen, bei Stellungnahmen und Debatten, die finnische politische Parteien geführt haben, zum Ausdruck gekommen. Letztendlich ist es so, dass niemand Finnland zur NATO eskortiert. Auch wenn die Tür zur NATO offen ist: man muss selbst hinwollen und dafür werben.
Finnlands NATO-Beitritt stärkt die Sicherheit Finnlands und die Sicherheit und Stabilität des Ostseeraumes und Nord-Europas. Finnland ist ein „Produzent von Sicherheit“, und die Mitgliedschaft Finnlands würde auch die NATO weiter stärken und die Hemmschwelle zur Anwendung militärischer Gewalt im Ostseeraum erhöhen.
Der Beitritt eines neuen Mitglieds zur NATO gründet sich auf einer gründlichen, politischen Analyse und einer einvernehmlichen Entscheidung der 30 NATO-Mitgliedstaaten. Der Beitritt Finnlands wäre ein starker Beweis dafür, dass die Allianz ihre Politik der offenen Tür fortsetzen will. Die für die demokratischen Werte ihrer Mitgliedländer eintretende NATO ist eine für Finnland natürliche Allianz gleichgesinnter, demokratischer Länder.
Aus Sicht der NATO ist Finnland eine stabile nordische Demokratie. Finnland ist ein beständiger und verlässlicher Akteur mit einer guten Regierungsführung und starken partnerschaftlichen Beziehungen. Finnland verteidigt gemeinsam mit der EU und seinen wichtigsten Partnern die internationale regelbasierte Ordnung und die Menschenrechte.
Finnland erfüllt die Kriterien für eine NATO-Mitgliedschaft und pflegt seit langem eine enge und umfassende Partnerschaft mit der NATO. Finnland kennt die NATO und die NATO kennt Finnland gut. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat Finnland seine Zusammenarbeit mit der NATO weiter intensiviert, um sich ein gemeinsames Bild von der Lage zu machen.
Finnland verfügt über eine glaubwürdige nationale Verteidigungsfähigkeit, die mit der NATO vollständig kompatibel ist, über einen starken Willen zur Verteidigung seines Landes und ein hohes Maß an Widerstandsfähigkeit in der Gesellschaft.
Jetzt, da Finnlands eigener nationaler, zur NATO –Mitgliedschaft führender Prozess abgeschlossen ist, ist es für uns an der Zeit, auf die kommenden NATO-Partner zu blicken. Es reicht nicht aus zu wissen, wie Finnland von der NATO-Mitgliedschaft profitieren wird. Wir müssen auch wissen, wie wir allein und zusammen mit Schweden den derzeitigen Mitgliedstaaten zugutekommen können.
Der Beitritt Finnlands und Schwedens zur NATO wird die Verpflichtungen und Risiken vor allem der USA erhöhen. Daher verstehen wir, dass die jetzigen NATO-Staaten, bevor sie unsere Mitgliedschaft annehmen, sicherstellen müssen, dass die Finnen und Schweden bereit sind, ihren eigenen Beitrag zur NATO geben können: Verantwortung zu teilen und gegebenenfalls Opfer zu bringen. Nur Rosinen können aus der NATO-Mitgliedschaft zu pflücken geht nicht.
Bis alle 30 NATO-Staaten der Mitgliedschaft Finnlands zugestimmt haben, wird Finnland kein Vollmitglied des Verteidigungsbündnisses sein. Der sogenannte Ratifizierungsprozess wird mehrere Monate dauern. Wir sind darauf vorbereitet, dass Russland aggressive Gegenmassnahmen gegen Finland erwägen wird. In der sogenannten grauen Zeit ist mit großflächigen Einflussnahmeversuchen, hybriden Angriffen, Luftraumverletzungen und Datenangriffen zu rechnen, um nur einige zu nennen. Und dann das Überraschende, das noch niemand nennen kann. Gerade bei unserem Nachbar Russland muss man auf alles gefasst sein.
Wir sind auf alle verschiedenen Sicherheitsbedrohungen gut vorbereitet. Derzeit besteht keine unmittelbare militärische Bedrohung für Finnland, aber wir beobachten und antizipieren die Entwicklung der Lage und werden entsprechend handeln. Finnland ist bereit, mit allen verfügbaren Mitteln auf Versuche zu reagieren, den NATO-Beitrittsprozess zu beeinflussen. In einem solchen Fall hätte Finnland auch die Unterstützung seiner Partnerländer, was wir sehr zu schätzen wissen.
Finnland hat für diese Übergangszeit Sicherheitszusagen von führenden NATO-Staaten erhalten. Ein Teil der Sicherheitsgarantien ist beispielsweise die aktive Teilnahme an gemeinsamen Militärübungen.
Das Finnische Parlament hat heute Nachmittag dem NATO-Beitritt mit einer überwältigenden Mehrheit von 188 zu 8 zugestimmt, ohne Enthaltungen. Heute Abend hat Aussenminister Haavisto das Beitrittsgesuch unterzeichnen, das unser NATO-Botschafter Klaus Korhonen dann Morgen am Mittwoch der NATO überreicht. Wir haben beim Beitrittsgesuch keine Reservierungen und keine Sonderklauseln oder –Ansprüche, die unsere Handlungsfreiheit in der Zukunft einschränken würden.
Die Verhandlungen mit der NATO werden voraussichtlich äußerst kurz sein. Es ist sogar davon die Rede, dass die Mitgliedschaftsverhandlungen in zwei Tagen geführt werden könnten.
Die Reaktionen auf Finnlands künftigen NATO-Beitrittsantrag in den derzeitigen Mitgliedsstaaten sind sehr positiv. Finnland ist ein begehrter Partner. Wir werden jedoch weiterhin demütig und fleißig auf allen Ebenen, politisch und offiziell, daran arbeiten, das Projekt zu einem guten Abschluss zu bringen. Es ist nur natürlich, dass auf diesem Pfad auch Stolpersteine und Schlaglöcher anzutreffen sind, aber da müssen wir einen kühlen Kopf bewahren und die Hindernisse zusammen mit unseren künftigen Partnern bewältigen. Von der Türkei haben wir vor einiger Zeit positive Signale erhalten und müssen jetzt natürlich schauen, was die türkischen Sicherheitsbedenken konkret betreffen und wie wir diese anpacken können.
Abschliessend möchte ich noch folgendes feststellen: Manche Kommentatoren sagen, dass die Erwerbung der NATO –Mitgliedschaft eine Provozierung Russlands sei. All diesen kann kann ich nur antworten, dass Russland gezeigt hat, dass es keine Provokation benötigt, um ein Nachbarland grundlos anzugreifen.